
Wie wir den Gesprächsfaden verlieren
Fast wie Tischtennis
Du kennst die Situation bestimmt genauso gut wie ich: Du unterhältst Dich mit einer ganzen Gruppe von netten Menschen über ein interessantes Thema.
Anfänglich sind alle so begeistert, dass es jeder kaum abwarten kann, auch etwas zum Gespräch beizutragen.
Die Sätze nehmen Fahrt auf, das Ping Pong der Wörter erinnert Dich an Dein Tischtennistraining von vor vielen Jahren.
Anfangs unmerklich, nach einer Weile allerdings ganz klar für Dich spürbar, passiert es:
Du verlierst langsam aber sicher den Gesprächsfaden!
Das geschieht nicht, weil Dir das Thema zu komplex oder die Lautstärke zu laut wäre…obwohl das auch eine Rolle spielen könnte.
Nein, Dein introvertiertes Gehirn ist schon längst in einen Nebenpfad abgebogen und versucht jetzt mit aller Kraft, all die vielen Gesprächsfäden wieder zu einem klar strukturierten Muster zu vereinen.
Nebenbei ist es auch noch damit beschäftigt, einen eigenen Glitzerfaden zu spinnen, den es einweben möchte.
Übersetzt heißt das: Du möchtest die Komplexität des Themas aufnehmen, durchdenken und mit einem klugen Beitrag ergänzen.
Die Geschwindigkeit erhöht sich
Du liebst intelligente Gespräche und findest diesen Austausch toll. Und jetzt merkst Du, dass Du zu spät dran bist.
Deine gute Idee zum Thema von vor einer Minute hast Du jetzt zwar wunderbar in Deinem Kopf ausformuliert und Du bist auch sprechbereit, doch Deine Gesprächspartner sind zwischenzeitlich schon wieder abgebogen.
Sie sind ganz woanders gelandet, so dass es wahrscheinlich auf Unverständnis stoßen würde, wenn Du an dieser Stelle mit Deinem Glitzerfaden um die Ecke kommen würdest.
Daher entscheidest Du Dich, weiter zuzuhören und nimmst Dir vor, einfach schneller zu sein bei der nächsten Gelegenheit.
Jetzt kommt es darauf an, wer Deine Gesprächspartner im Durchschnitt sind. Da das Gespräch eine so hohe Geschwindigkeit hat, nehme ich fast an, dass es hauptsächlich Extravertierte sind, die sich zu Wort melden.
Sie betreiben das Ping Pong der Wörter immer schneller, so dass es Dir in diesem Gespräch vermutlich nicht mehr gelingen wird, konstruktiv mitzuspielen.
Was läuft schief in solchen Gesprächen?
Du möchtest sehr gerne etwas gut überlegtes zum Thema beitragen und nimmst Dir daher die Zeit, in Deinem Kopf alles Für und Wider, alle aktuellen und altbewährten Informationen zusammen zu führen.
Daraus möchtest Du dann zum Beispiel einen neuen Blickpunkt und eine Perspektive, an die noch keiner gedacht hat formen und so einen wertvollen Beitrag leisten.
Leider kommen wir manchmal mit unseren komplex denkenden Gehirnen nicht ganz so schnell mit den Gesprächen von Extravertierten mit.
Nicht, weil wir so langsame, sondern so tiefe und umfassende Denker sind.
Uns fällt es schwer, in einem dahingaloppierenden Gespräch die nötige Geschwindigkeit aufrecht zu erhalten, weil wir mehr an der Qualität als an der Quantität unserer Worte interessiert sind.
Ping Pong Wortgefechtsmeisterschaften
Daher mache ich mir manchmal einen Spaß für mich daraus, den Ping Pong Wortgefechten einfach nur zu folgen.
Ich versuche, im Hier und Jetzt zu bleiben, ohne mir selbst die Aufgabe zu geben, unbedingt etwas beitragen zu müssen.
Dadurch fällt mir das Folgen viel leichter, weil ich ja nicht zeitgleich mit den Lösungsvorschlägen beschäftigt bin, die mein Kopf jetzt gerne weben würde.
Dann darf das entstehende Muster eben ohne meinen Glitzerfaden auskommen, es wird auch so ganz schön!
Zum Glück kommt es bei mir recht selten vor, dass ich bei solchen Ping Pong Wortgefechtsmeisterschaften anwesend bin.
Der Genuss von intensiven Gesprächen
Ich konzentriere mich lieber auf Gespräche, an denen weniger Menschen gleichzeitig beteiligt sind und in die ich mich einfach schon durch Zuhören voll einbringen kann.
Wie schön intelligente Unterhaltungen mit anderen Mitgliedern der introvertierten Menschenfamilie sind, muss ich Dir wahrscheinlich nicht sagen.
Es ist eine Freude, sich Zeit für gute Gespräche zu nehmen, bei denen auch wohlüberlegte Antworten gerne angehört werden oder bei denen es sogar Phasen gibt, in denen gar nichts gesprochen und gemeinsam geschwiegen wird.
Tief tauchen oder hoch klettern
Dabei tauchen wir tief in das jeweilige Thema ein und erforschen es gerne aus allen möglichen Blickwinkeln.
Wenn Du nicht so der Tiefseetaucher bist, gefällt Dir vielleicht der Vergleich besser, dass wir dabei hoch hinauf bis auf die Baumspitze klettern, um von dort einen Rundumblick auf das jeweilige Thema zu erfassen.
Ob nun tief getaucht oder hoch geklettert, wir kehren um viele Eindrücke und manch neue Idee reicher auf den festen Boden unter unseren Füßen zurück.
Gedanken in Ruhe entwickeln
In solchen Gesprächen liefern wir uns selten Rededuelle, sondern entwickeln unsere Gedanken in Ruhe.
Wir wollen weder mit Wörtern bedrängt werden, noch unserem Gesprächspartner mit einem Redeschwall das Wort abschneiden.
Das fühlt sich so viel besser an, als ständig zu überlegen, wie und wann wir unsere Ideen am besten ins Gespräch einbringen, ohne im Galopp des Gespräches verloren zu gehen.
Reden macht auch uns Introvertierten Spaß und wenn das Thema passt, können auch wir wahre Wortkaskaden hervorsprudeln.
Für Deine nächsten Gespräche mit einem interessiert zuhörenden und nachdenklich sprechenden Gegenüber wünsche ich Dir viel Freude!
Alles Liebe
Claudia
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